Sachverhalt:
Wer ohne Fahrschein erwischt wird, kann wegen „Erschleichens von Beförderungsleistungen“ zur Zahlung eines erhöhten Beförderungsentgelts verpflichtet werden. Wer dies nicht zahlt, nicht zahlen kann oder z.B. mehrfach erwischt wird, muss, sofern Strafanzeige gestellt wird, mit einer Geldstrafe rechnen, oder eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, d.h. die Geldstrafe im Gefängnis absitzen.
Ersatzfreiheitsstrafen treffen vor allem arme und hilfsbedürftige Menschen, psychisch Kranke, Suchtkranke und Obdachlose. Die Betroffenen können nicht zahlen oder sind mit der Situation überfordert. In manchen Fällen wissen sie gar nicht, dass sie zu einer Geldstrafe verurteilt wurden. Bei von Armut betroffenen Menschen entfaltet die Haftandrohung nicht die gewünschte abschreckende Wirkung, da sie die geforderten Bußgelder schlichtweg nicht bezahlen können. Die extremen Nachteile für die verurteilte Person stehen in keinem angemessenen Verhältnis zum Unrechtsgehalt der Tat. Zudem wird den Inhaftierten keine sinnvolle Behandlung ermöglicht, die ihnen aus der Situation helfen könnte. Ersatzfreiheitsstrafen verschärfen somit nur soziale Probleme und Ungleichheiten.
Die Kosten für die Inhaftierung von Zahlungsunfähigen beliefen sich nach Angaben der Bundesregierung 2022 auf durchschnittlich 157,72 Euro pro Hafttag. Das bedeutet, dass bundesweit täglich rund 450.000 Euro für die Inhaftierung von verurteilten Schwarzfahrenden ausgegeben werden. Für Personen, die im strafrechtlichen Sinne nicht gefährlich sind.
Immer mehr Kommunen werden selbst aktiv, um das Schwarzfahren zu entkriminalisieren. Einige Stadträte wie zum Beispiel von Düsseldorf, Münster und Köln schreiben ihren Verkehrsunternehmen vor, Schwarzfahrende nicht mehr anzuzeigen. Am Straftatbestand selbst können die Städte nichts ändern. Die Entscheidung, regelmäßig davon abzusehen, sorgt aber für den Wegfall der tatsächlichen Strafverfolgung.
In Braunschweig ist die Weitergabe von Fahrgastdaten, beispielsweise an ein Inkassounternehmen, zur Durchsetzung von Zahlungsansprüchen aus dem erhöhten Beförderungsentgelt (EBE) möglich. Diese Daten werden bis zum Abschluss des Inkassoverfahrens gespeichert. Liegt eine Beförderungserschleichung gemäß § 265a StGB vor, werden die Daten unabhängig vom EBE-Verfahren bis zu 12 Monate gespeichert. Bei einer Wiederholungstat während dieses Zeitraums kann die Speicherdauer um weitere 12 Monate verlängert werden. Die BSVG kann während dieses Speicherzeitraums Strafanträge stellen. Es erfolgt keine automatische Anzeige. Es liegt somit im Ermessen der Brauschweiger Verkehrsbetriebe, ob es zu Ersatzfreiheitsstrafen bei Betroffenen kommen kann.
Daher fragen wir die Verwaltung:
1. Wie oft hat die Braunschweiger Verkehrs-GmbH (BSVG) in den letzten zwei Jahren (August 2022 – August 2024) Strafanzeige wegen Erschleichens von Leistungen (§ 265a StGB) gestellt?
2. Wie viele Personen sind in den letzten zwei Jahren (Juni 2022 – Juni 2024) aufgrund des Erschleichens von Leistungen (§ 265a StGB) ersatzweise im Gefängnis gelandet, weil sie die entsprechende Geldstrafe nicht bezahlen konnten?
3. Was spricht dagegen, Strafanzeigen gegen Schwarzfahrende generell aus den Beförderungsbedingungen zu streichen?
06.08.2024.pdf“ style=“text-decoration:none“>https://kriminologie.uni-koeln.de/sites/kriminologie/UzK_2015/bilder/aktuelles/OffenerBrief265a_formatiert_unterschrieben_06.08.2024.pdf
https://www.sueddeutsche.de/politik/schwarzfahren-gefaengnisstrafe-justiz-deutschland-1.5582047
Sachverhalt:
Die Anfrage der Gruppe Die Fraktion. – DIE LINKE., Volt und Die PARTEI vom 4. September 2024 (DS 24-24329) wurde mit der Bitte um Stellungnahme an die Braunschweiger Verkehrs-GmbH (BSVG) weitergeleitet.
Die BSVG teilt hierzu mit:
Zu 1)
Die BSVG hat im Zeitraum August 2022 bis August 2024 insgesamt 648 Strafanträge wegen Erschleichens von Leistungen (§ 265a StGB) gestellt.
Zu 2)
Der BSVG liegen hierzu keine Zahlen vor.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig wurde hierzu angefragt und teilt hierzu mit:
Im Zeitraum von Juni 2022 bis Juni 2024 sind im Bezirk der Staatsanwaltschaft Braunschweig insgesamt gegen 196 Personen Ersatzfreiheitsstrafen wegen Erschleichens von Leistungen (§ 265a StGB) vollstreckt worden, davon lagen in 113 Fällen Verurteilungen durch das Amtsgericht Braunschweig zugrunde.
Zu 3)
Strafanträge werden durch die BSVG nicht bei jeder Feststellung eines erhöhten Beförderungsentgelts (EBE) gestellt, sondern nur bei besonderen Bedingungen (z.B. wiederholte EBE-Feststellung und Betrugsverdacht). Der Strafantrag wird als Rechtsmittel gewählt, wenn die üblichen Sanktionen (EBE) offenbar nicht ausreichend sind.
Aus Sicht der BSVG ist der Strafantrag wichtig zur Durchsetzung der Beförderungsbedingungen und der Pflicht, nur mit einem gültigen Fahrausweis zu reisen.
Die Stadt Braunschweig stellt mit dem BS-Mobil-Tickets günstige Monatsfahrkarten für Einkommensschwache Personengruppe bereit, die preislich deutlich unter dem im Bürgergeld festgelegten Regelsatzes (RBS 1) für Mobilität i.H.v. 50,50 Euro liegen (Preis BS-Mobil-Ticket: 18,00 Euro; BS-Mobil-Ticket Plus: 25,00 Euro). Auch für Schulkinder gibt es ein Fahrscheinangebot unterhalb des gültigen Regelsatzes (31,09 Euro).
Das heißt, in Braunschweig ist die Möglichkeit zur rechtsgültigen Nutzung des ÖPNV gegeben. Es bleibt die Entscheidung des Einzelnen, sich keinen Fahrschein zu kaufen und sich damit nach StGB 265a die Leistung zu erschleichen.
Sollte dieser Tatbestand nicht mehr nachverfolgt werden, rechnet die BSVG mit verminderten Einnahmen aus Fahrscheinverkäufen, da das Fahren ohne Fahrschein milder sanktioniert wird.
Der Verzicht auf Strafanträge würde den internen Aufwand für die Erfassung von EBE-Vorgängen und das Forderungsmanagement nur gering abschwächen.
Die BSVG sieht daher aus betrieblicher Sicht keine Veranlassung, von der bisherigen Praxis, die den Prinzipien des Rechtsstaats folgt, abzuweichen.
Inwiefern das Strafmaß für den Tatbestand angemessen ist, ist an anderer Stelle zu bewerten.