Sachverhalt:
Am 11.06.2024 hat der Rat die Verwaltung ermutigt, ein Handlungskonzept für Vielfalt, Toleranz und Demokratie und gegen Rechtsextremismus zu erstellen (24-23646-01). Dabei sollte das Problem des Rechtsextremismus in Braunschweig analysiert und bestehende Strukturen und Aktivitäten gegen Rechtsextremismus vernetzt werden. Das Handlungskonzept soll Strategien und Maßnahmen entwickeln, die helfen eine weitere Raumnahme von Rechtsextremisten zu verhindern. Die Erstellung des Konzeptes soll möglichst in einem partizipativen Prozess erfolgen.
Im zuständigen Fachausschuss wurde der Ursprungsantrag von der Sozialdezernentin begrüßt und eine rasche Umsetzung zugesagt. Leider sind auch nach über einem halben Jahr keine Aktivitäten zur Umsetzung des Ratsbeschlusses erkennbar.
Daher fragen wir die Verwaltung:
- Welche konkreten Tätigkeiten hat die Verwaltung seit dem 11.06.2024 unternommen, um den Ratsbeschluss umzusetzen?
- In welcher Organisationsstruktur wird das Thema langfristig verortet?
- Wann genau ist mit einer Beteiligung der Öffentlichkeit und des Rates an der Erstellung des Konzeptes zu rechnen?
Zur Anfrage der Gruppe Die Fraktion. BS vom 15.01.2025 (25-25055) wird wie folgt Stellung
genommen:
Nach Artikel 8 des Grundgesetzes hat jeder das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis
friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Dieses Demonstrationsrecht ist ein für die
Demokratie besonders wichtiges Freiheitsrecht: Es gibt allen Bürgerinnen und Bürgern die
Möglichkeit, ihre Meinung in der Öffentlichkeit wirksam zu äußern, auch ohne direkten
Zugang zu Presse, Rundfunk und Fernsehen zu haben.
Artikel 8 des Grundgesetzes gilt auch für Versammlungen Rechtsextremer. Jeder Aufmarsch
Rechtsextremer ist aus verfassungsrechtlicher Sicht grundsätzlich eine Versammlung im
Sinne des Artikels 8, die – wie jede andere Demonstration – nicht schon deswegen
unterbunden werden darf, weil dort zweifelhafte oder abzulehnende politische Auffassungen
vertreten werden. Das Versammlungsrecht ist grundsätzlich inhalts- und meinungsneutral.
Für eine Demonstration muss nach Artikel 8 des Grundgesetzes keine vorherige Erlaubnis,
keine Genehmigung eingeholt werden. Nach dem Versammlungsgesetz ist eine
Demonstration lediglich anzuzeigen. Die Versammlungsanzeigenden sind nicht auf ein
„Wohlwollen“ der Behörden angewiesen.
Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit umfasst auch das Recht der Anzeigenden, den
Ort, die Route und den Zeitpunkt der Demonstration selbst zu bestimmen. Sie sollen damit
die Möglichkeit haben, Art und Umfang der öffentlichen Aufmerksamkeit für ihre
Versammlung zu beeinflussen.
Die Versammlungsbehörde bemüht sich in der Praxis, im Rahmen der gesetzlich
vorgesehenen Zusammenarbeit mit den Versammlungsanzeigenden die Aufzugsrouten so
abzustimmen, dass die Interessen unbeteiligter Bürgerinnen und Bürger möglichst wenig
beeinträchtigt werden (ÖPNV, Weihnachtsmarkt, Verkehrsführung, Baustellen, sonstige
Veranstaltungen).
Die Verwaltung hatte vor rund drei Jahren bei einer für den 18. Dezember 2021 angezeigten
Versammlung die Nutzung der Parole „Braunschweig- Nazistadt“ während der Versammlung
untersagt. Gegen diese Beschränkung hatte der Versammlungsanmelder geklagt. Mit Urteil
vom 31. Januar 2024 hat das Verwaltungsgericht Braunschweig entschieden, dass diese
Beschränkung rechtswidrig war.
Das Verwaltungsgericht Braunschweig stellte fest, dass das Verwenden der Parole
„Braunschweig- Nazistadt“ weder einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit noch gegen
die öffentliche Ordnung im Sinne des § 8 Abs. 1 NVersG darstellt.
Auch Parolen, die eine nationalistische oder rechtsextreme Gesinnung und
ausländerfeindliche Grundrichtung zum Ausdruck bringen, jedoch die Schwelle der
Strafbarkeit nicht überschreiten, verlieren nicht den Schutz des Art. 5 GG und Art. 8 GG. Da
die Parole „Braunschweig Nazi-Stadt“ mehrere Deutungen zulasse -Braunschweig war eine
Nazistadt, ist eine Nazistadt oder soll eine Nazistadt werden – sei nicht klar ersichtlich, was
damit konkret gesagt werden solle, so das Verwaltungsgericht. Das Verwenden der Parole
könne daher nicht eindeutig als Billigen, Verherrlichen oder Rechtfertigen der
nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft angesehen werden und erfülle somit
auch nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung i. S. d. § 130 Abs. 4 StGB.
Eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung bestehe nur, wenn sich die
vorausgesetzte Gefahr nicht aus dem Inhalt der Äußerung, sondern aus der Art und Weise
der Durchführung der Versammlung ergebe, z.B. bei einem aggressiven und provokativen,
die Bürger einschüchternden Verhalten der Versammlungsteilnehmer, durch das ein Klima
der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt werde. Dies konnte
aber bei der konkreten Versammlung am 13. August 2021, um die es in dem Verfahren ging,
insbesondere in Anbetracht der geringen Teilnehmerzahl, nicht angenommen werden.
Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung des Verwaltungsgerichts Braunschweig und da
die Versammlung von demselben Anmelder und nach Art und Umfang in vergleichbarer
Weise zu der Versammlung aus dem Jahr 2021 angezeigt wurde, hat die Verwaltung in
Bezug auf die Versammlung für den 21. Dezember 2024 von der Untersagung der konkreten
Parole „Braunschweig- Nazi“ abgesehen. Die Verwaltung hat jedoch durch Auflagen u.a.
weiterhin die Verwendung von Parolen untersagt, die erkennbar darauf ausgerichtet sind,
das NS-Regime, seine Organisationen und deren (auch selbst ernannte)
Folgeorganisationen sowie verbotene Parteien und Vereine einschließlich deren Nachfolgeund
Ersatzorganisationen zu verherrlichen, zu verharmlosen oder wiederzubeleben.
Das Demonstrationsrecht gilt grundsätzlich auch für Versammlungen von Extremisten.
Ferner beinhaltet das Recht auch den Anspruch gegen den Staat auf Schutz gegen
Störungen durch Dritte. Aktionen der Polizei zur Durchsetzung des Versammlungsrechts
sind also ein Gebot des Rechtsstaates und nicht etwa Parteinahme mit den Inhalten der
rechtsextremen Versammlung.
Abgebrochen werden darf eine Demonstration – und damit auch ein Aufzug Rechtsextremer –
nur in eng begrenzten Ausnahmefällen. Die öffentliche Sicherheit muss unmittelbar gefährdet
sein, und es darf auch unter Aufbieten aller staatliche Mittel, inbesondere des Einsatzes der
Polizei, kein anderes milderes Mittel für die Abwehr dieser Gefahr. Grundsätzlich ist der
Staat verpflichtet, auch Versammlungen mit verfassungsfeindlichem Inhalt zu schützen.
Soweit Versammlungsteilnehmende während einer Versammlung Straftaten begehen,
werden diese (wie in anderen Zusammenhängen auch) von Polizei und Staatsanwaltschaft
strafrechtlich verfolgt.