Sachverhalt:
Seit 2008 wurden in Braunschweig laut Website der Stadt 15,4 km Fahrradstraßen ausgewiesen 1. Auch die Beschilderung einer Fahrradzone am Hauptcampus der TU wurde dieses Jahr vorgenommen. In nahezu allen Fällen sind die Braunschweiger Fahrradstraßen allerdings mit dem Zusatzschild „Kfz frei“ (teilweise ohne LKW) für den allgemeinen Kfz-Verkehr inkl. Durchgangsverkehr freigegeben, sind nur in wenigen Ausnahmen mit Maßnahmen zur Kfz-Verkehrsberuhigung ausgestattet und sind an keiner Stelle bevorrechtigt. Dies steht durchaus auch im Kontrast zu den Empfehlungen einschlägiger Regelwerke (ERA 2010, RASt 06).
Im August 2021 hat ein Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover bundesweit Aufmerksamkeit erregt, demzufolge an Fahrradstraßen höhere Anforderungen zu stellen sind, als bislang vielerorts gehandhabt. Das Gericht urteilte im Zuge einer Anwohnerklage, dass die straßenverkehrsrechtliche Anordnung der Fahrradstraße in der Kleefelder Str. in Hannover in der dortigen Form rechtswidrig und daher aufzuheben sei. Zitiert wird der Richter mit den Worten „Wo Fahrradstraße drauf steht, muss auch Fahrradstraße drin sein“, „Nur durch flankierende Maßnahmen werden Fahrradstraßen geschaffen“ und Kfz-Verkehr in Fahrradstraßen dürfe nur aus „sehr gewichtigen Gründen“ erlaubt werden 2.
In der Urteilsbegründung werden detailliert rechtliche Anforderungen und Ausschlussgründe für die Anordnung von Fahrradstraßen hergeleitet 3. So müssten etwa mit der Ausweisung einer Fahrradstraße Verhaltensregeln für die Verkehrsteilnehmer eingeführt werden, die über die ohnehin geltenden Verhaltensregeln (StVO) hinausgehen, um dem Begründungszwang verkehrsrechtlicher Anordnungen genügen zu können. Auch müssten Konfliktsituationen zwischen Rad- und Kfz-Verkehr aufgelöst werden und der Radverkehr ihm eingeräumte Sonderrechte, wie das Nebeneinanderfahren in beiden Richtungen, tatsächlich nutzen können.
Zur Beibehaltung der beklagten Fahrradstraße waren im Ergebnis Maßnahmen zur Reduzierung von Durchgangs- bzw. Schleichverkehren sowie die Entfernung von Parkplätzen zur Herstellung ausreichender Fahrbahnbreiten notwendig. Zudem sieht sich die Stadt Hannover durch das Urteil veranlasst, stadtweit alle mehr als 20 Fahrradstraßen zu überprüfen.
Im Urteil kritisierte Mängel liegen auch an vielen Braunschweiger Fahrradstraßen vor.
Vor diesem Hintergrund fragen wir die Verwaltung:
1. Ist der Verwaltung das Urteil und die Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts Hannover zur Kleefelder Str. bekannt (Urteil vom 13.8.2021, VG Hannover 7A 5667/19)?
2. Welchen Handlungsbedarf sieht die Verwaltung für die bestehenden Braunschweiger Fahrradstraßen im Hinblick auf das Urteil, insbesondere für die Fahrradstraßen Sophienstraße, Petritorwall, Karlstraße, Adolfstraße?
3. Wie ist der Stand der Umsetzung und der Zeitplan zu Maßnahme 6.1 des Ziele- und Maßnahmenkatalogs „Radverkehr in Braunschweig“ aus 2020, insbesondere der Prüfung und Umsetzung von Vorfahrt für Fahrradstraßen an Knotenpunkten sowie der Minimierung des automobilen Durchgangsverkehrs an Fahrradstraßen?
1) https://www.braunschweig.de/leben/stadtplan_verkehr/radverkehr/fahrradstrassen.php
3) https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&;docid=JURE220020639&psml=bsndprod.psml&max=true
Stellungnahme der Verwaltung:
Zu 1.:
Ja, sowohl Urteil als auch Urteilsbegründung sind der Verwaltung bekannt.
Zu 2. und 3.:
Die Verwaltung wird im Zusammenwirken mit den Radverbänden einen Standard für Fahrradstraßen in Braunschweig entwickeln. Ziel ist dabei eine durchgängige bessere Erkennbarkeit und Gestaltung von Fahrradstraßen. Dabei werden die gültigen Regelwerke und Beispiele aus anderen Städten ebenso Berücksichtigung finden wie das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover zur Fahrradstraße in der Kleefelder Straße.
Seit Anfang Mai ist das Team der drei Radverkehrsbeauftragten, in dem u. a. diese Grundsatzaufgabe bearbeitet wird, besetzt. Die Erarbeitung des Standards für Fahrradstraßen wird im Juni beginnen und soll zum Jahresende abgeschlossen sein. Daraus werden sich konkrete Handlungsbedarfe zumindest für einige der Braunschweiger Fahrradstraßen ergeben. Dies betrifft insbesondere die Minimierung des automobilen Durchgangsverkehrs. Welche Maßnahmen im Einzelnen erforderlich sein werden, wird sich bei der anschließenden konkreten Überprüfung jeder einzelnen Fahrradstraße ergeben.