Folgen der Privatisierung – Alte Kanäle und absackende Straßen

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Sachverhalt

Am 25. Januar 2022 schrieb die Braunschweiger Zeitung (der Beitrag wurde später verändert): „Wieder einmal ist in der Innenstadt die Fahrbahn abgesackt.“ Gemeint waren die Kanalbauarbeiten am Kalenwall, die eine riesige Umleitung und damit zusätzliche Verkehre nach sich gezogen haben. Laut Pressemitteilung der SE/BS (veolia) war ein schadhafter Schmutzwasserkanal-Hausanschluss die Ursache der Unterspülung und Absenkung der Fahrbahn am Kalenwall. Unklar bleibt, ob der Anschlusspunkt am Hauptkanal (Zuständigkeit SE/BS) oder ob der Hauskanal auf dem Privatgrundstück schadhaft war und die Kontrollpflicht (Zuständigkeit Stadt) nicht wahrgenommen wurde.

Tatsache ist, dass es sich nicht um die erste Fahrbahnabsackung durch schadhafte Kanäle handelt und die BZ völlig zu Recht von „Wieder einmal“ geschrieben hat. Erst vor einem halben Jahr führte der gebrochene Hauptkanal in der Moltkestraße zu einem plötzlich auftretenden, metertiefen Loch. Die BZ titelte dazu am 12.08.2021: „Rätsel um Loch in Braunschweigs Moltkestraße“. Das Rätsel wurde allerdings schnell gelöst. Wie die SE/BS (veolia) selber mitteilte, sind die Kanäle sehr alt und schadhaft. Das Loch
wurde zumindest schnell verfüllt und glücklicherweise wurde niemand verletzt. Eine erheblich größere Absackung der Fahrbahn wurde 2016 am Rebenring festgestellt. Hier führte ein undichter und ebenfalls sehr alter Kanal zu großflächigen Unterspülungen.

Die Folge war eine Baumaßnahme über die Dauer von 2,5 Jahren mit den entsprechenden Verkehrsbelastungen. Die Zunahme der Häufigkeit von Fahrbahnabsackungen durch schadhafte Kanäle steht im Zusammenhang mit der Privatisierung der Abwasserentsorgung und dem Unwillen von Verwaltungsspitze und Ratsmehrheiten wenigstens auf die Einhaltung des Privatisierungsvertrages (Abwasserentsorgungsvertrag – AEV) zu bestehen. Dort wurde u.a. festgelegt, dass zum Ende der Privatisierung in 2035 die Kanäle und Anlagen sich mindestens in dem Zustand und Alter wie zu Beginn der Privatisierung befinden müssen. Dazu wurde eine jährliche Sanierungsrate von durchschnittlich 1,25% und mindestens 1,1% vertraglich vereinbart.

Die Überprüfung der Vorgaben sollte mit einem – ebenfalls im AEV vereinbarten – Gutachten zum 01.01.2011 erfolgen. Tatsächlich vorgelegt wurde das Gutachten jedoch erst am 20.12.2016, also mit fünfjähriger Verspätung. Hier wurde von der Verwaltung auch mitgeteilt, dass das nächste Vertragserfüllungsgutachten im Jahr 2018 beauftragt und die Daten der Jahre 2013 bis 2017 ausgewertet werden. Wann die Ratsgremien das Gutachten erhalten, wurde nicht mitgeteilt.

Das Gutachten (2016) stellte bereits fest, dass die Sanierungsrate von 2006 – 2012 real aber nur 0,89% beträgt, weil über 7 Mio. Euro pro Jahr zu wenig investiert und die langfristigen Sanierungsziele nicht erreicht wurden. Zu den Haushaltsberatungen 2018 hatte die Linksfraktion konkret nachgefragt, welche Sanierungsraten in 2017 und 2018 zu verzeichnen sind und wie sich das Alter der Kanäle entwickelt. Laut Antwort der Verwaltung war die Investitionstätigkeit in diesem Zeitraum noch einmal massiv zurückgegangen. So betrug die Sanierungsrate in 2017 nur 0,38 % und in 2018 0,57%. Dadurch hat sich auch die durchschnittliche Sanierungsrate auf 0,7% verschlechtert. Auch das Durchschnittsalter der Kanäle hat sich von 33,9 Jahren (vor der Privatisierung) auf 42 Jahre (2018) deutlich negativ entwickelt.

Vor diesem Hintergrund wird die Verwaltung gefragt:

  1. Was genau war die Ursache für die Fahrbahnabsackung am Kalenwall?
  2. Welche Möglichkeit sieht die Verwaltung Fahrbahnabsackungen in dieser Häufigkeit zu verhindern?
  3. Wann wird das 2018 beauftragte Vertragserfüllungsgutachten den Ratsgremien vorgelegt?

Stellungnahme der Verwaltung:

Die Anfrage der Gruppe Die FRAKTION. – DIE LINKE., Volt und Die PARTEI beantwortet die Verwaltung in Abstimmung mit der Stadtentwässerung Braunschweig GmbH (SE|BS) (zur ersten Frage) wie folgt:

zu 1.

Die Ursache für die Fahrbahnabsackung war ein alter und defekter Hausanschlusskanal. Der Hausanschluss war schon vor Jahren außer Betrieb genommen und konnte zur Zustands- und Schadensdetektion mittels TV-Inspektion von der Hauptleitung (Sammelkanal) aus nicht mehr befahren und untersucht werden.

Durch eine Undichtigkeit am Hausanschlusskanal ist Sand in Selbigen eingedrungen, wodurch ein Hohlraum unter der Straße entstanden ist. Bei Erkenntnis der entstehenden Absackung wurde umgehend reagiert, sodass die Straße gesperrt und der Hausanschluss sogleich instandgesetzt wurde.

zu 2.

Um den Werterhalt und die einwandfreie Abwasserableitung auch weiterhin sicher zu stellen wurden der SE|BS vertraglich rd. 13 Mio. € pro Jahr zusätzlich an Investitionsvolumen für das Kanalnetz zur Verfügung gestellt.

Um die vertragsgemäßen Tätigkeiten und die Reinvestitionen der SE|BS in das Kanalnetz beurteilen zu können werden vertragsgemäß u.a. Vertragserfüllungsgutachten angefertigt, wie zu drittens weiter ausgeführt wird.

Grundsätzlich lassen sich vereinzelte Schadensfälle bei einem Abwassernetz dieser Größenordnung trotz der hohen Reinvestitionen in die Abwasseranlagen und der ständigen TV-Untersuchung des Kanalnetzes auch zukünftig nicht vollständig vermeiden.

zu 3.

Die Stadt hat gem. dem zwischen der Stadt und der SE|BS bestehenden Abwasserentsorgungsvertrag (AEV) die Möglichkeit, alle fünf Jahre ein Vertragserfüllungsgutachten (VEG) in Auftrag zu geben. Vertraglich besteht keine Verpflichtung alle 5 Jahre ein Vertragserfüllungsgutachten zu erstellen.

Die Ergebnisse des letzten Vertragserfüllungsgutachten wurden 2016 vorgestellt (DS 16-03456). Es wurde darin festgestellt, dass die vertraglich vereinbarten Aufgaben durch die SE|BS im betrachteten Untersuchungszeitraum (2006 – 2013) nahezu vollständig positiv erfüllt worden sind und das Kanalnetz so betrieben wurde, wie es im öffentlichen Interesse liegt.

Auf Basis des AEV steht der SE|BS ein limitiertes Planbudget für die Kanalnetzerneuerung zur Verfügung. Mit dem zur Verfügung gestellten Budget konnte die SE|BS jedoch nicht alle vertraglichen Kennzahlen vollständig erreichen.

Das alte Vertragserfüllungsgutachten empfahl deshalb u.a. die Höhe der Investitionsmittel genauer zu untersuchen.

Im Kontext der Bearbeitung dieser Aufgabenstellung wurde festgestellt, dass das seitens der Stadt für die SE|BS zur Verfügung gestellte Investitionsbudget zum langfristigen Substanzerhalt nicht ausreichend ist. Die Stadt konzentrierte sich deshalb auf die Erhöhung des Investitionsbudgets und die Ergänzung des bestehenden Abwasserentsorgungsvertrages. Hierin mündete die Ergänzungs- und Klarstellungsvereinbarung mit Abschluss im Jahr 2020.

Mit dem Abschluss dieser Ergänzungs- und Klarstellungsvereinbarung zum Ende 2020 wurde der Aufgabenstellung aus dem letzten Vertragserfüllungsgutachten durch die Verwaltung Rechnung getragen. Das Investitionsbudget wurde um 13 Mio. € erhöht, die Verträge aktualisiert und die zukünftige Sicherstellung der Kanalsubstanz in Braunschweig gewährleistet.

Die zunächst ursprünglich bereits für 2018 avisierte Beauftragung eines neuen Vertragserfüllungsgutachtens hätte zu keinen wesentlich neuen Erkenntnissen zum bestehenden Gutachten geführt.

Mit Beauftragung des aktuellen Vertragserfüllungsgutachten im Jahr 2021 wird der Inhalt der Ergänzungs- und Klarstellungsvereinbarung (u.a.) mit den höheren Investitionen durch den externen Gutachter des Vertragserfüllungsgutachtens gewürdigt und bewertet. Das aktuelle Vertragserfüllungsgutachten befindet sich derzeit noch in Bearbeitung.

Nach dem derzeitigen Bearbeitungsstand wird von einer Fertigstellung im IV Quartal 2022 ausgegangen. Nach Fertigstellung wird das Ergebnis den Ratsgremien vorgelegt.

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